Sanfter Tourismus mit den Stärken der Region - Überlegungen zur Zukunft des Tourismus im Kreis Calw

Veröffentlicht am 27.05.2009 in Kommunalpolitik

Dr. Rainer Prewo MdL Mai 2009

Sanfter Tourismus mit den Stärken der Region
Überlegungen zur Zukunft des Tourismus im Kreis Calw

I Ausgangslage

Der Kreis Calw spielte früher eine herausragende Rolle im Tourismus. Mit den Kurorten und Mineralbädern und ihren teilweise berühmten Hotels und Gasthöfen, aber auch mit den Wanderwegen durch Wälder und offene Höhen, an den Flüssen und Waldbächen, mit den Gasthäusern zum Einkehren, den Kirchen, Burgen, Mühlen, kleineren Stadt- und Dorfzentren war unsere Region für Kurgäste, Tagesgäste, Wanderer, für längere und kürzere Ferien und Ausflüge gleichermaßen anziehend.

Das hat sich spürbar geändert. Die Übernachtungszahlen gehen stetig zurück, in den letzten zehn Jahren um -16,7 %, das entspricht einem durchschnittlichen Verlust von jährlich ca. 26.000 Übernachtungen. In der gleichen Zeit hatte Baden-Württemberg einen Zuwachs von +19,9%. – Dabei gibt es auch im Kreis Calw erfolgreiche Betriebe – sie wären in einem dynamischen Umfeld sicher noch erfolgreicher. Als Ursache galt lange Zeit der Trend zum Pauschal- und Massentourismus an südliche Strände, zumal mit niedrigen Preisen. Hinzu kam die stagnierende Nachfrage nach Kuraufenthalten infolge diverser Gesundheitsreformen, die zu einer Konzentration des Geschäfts auf wenige große Badeorte führte. Die Bäder des Kreises Calw konnten auf diesem Markt ihren früheren Anteil nicht halten. All dies kann den Rückgang des Tourismus indes nicht ganz erklären, zumindest ist es zu ergänzen. Auffällig ist nämlich, dass deutsche (auch baden-württembergische) Regionen mit teilweise ähnlichen Strukturen – etwa die Schwäbische Alb, auch andere Mittelgebirgsregionen, auch der Südschwarzwald – im Trend stabile Zuwächse erzielen. Baden-Württemberg weist in den letzten vier Jahren durchschnittlich 2,2% mehr Übernachtungen pro Jahr auf. Im Nordschwarzwald lautet diese Zahl -1,4%, damit ist er die einzige Region mit einem Rückgang der Übernachtungen, während alle anderen 11 Regionen des Landes (teils deutliche) Zuwächse haben. Im Kreis Calw ist der Rückgang mit -3,4% sogar noch stärker als in der Region insgesamt. Die anderen Regionen scheinen demnach von den negativen Faktoren weniger betroffen als der Kreis Calw. Auch diese Regionen entwickelten sich nicht spektakulär, doch gelang es ihnen, mit dem allgemeinen Wachstum des Tourismusmarkts (gut 2% Deutschland, ca. 3% weltweit, bis 2008) Schritt zu halten. Ein wachsender Anteil an den Steigerungsraten deutscher Regionen entfällt übrigens auf ausländische Gäste, für die deutsche Destinationen nach wie vor besonders interessant sind – das ist wichtig, weil der Tourismus weltweit stärker wächst als die Gesamtwirtschaft. Wie ist die Sonderentwicklung im Nordschwarzwald und im Kreis Calw vor diesem Hintergrund zu beurteilen? Die übliche Formel – „wir müssten uns eben besser vermarkten“, mit dem impliziten Vorwurf mangelnder Professionalität an die Anbieter, und deren impliziter Beschwichtigung, die Produkte seien eigentlich tadellos – ist weniger ein Lösungsansatz als ein Wegschieben des Problems. Investitionen sind nötig Kann man gegen den hartnäckigen Trend sinkender Gästeübernachtungen im Kreis Calw überhaupt etwas machen? Gehen die Zeiten des starken Tourismuskreises Calw unaufhaltsam zu Ende oder hat er eine neue Zukunft? Ein neuer Aufschwung kommt nicht von selbst. Ohne markante Verbesserungen im touristischen Angebot wird sich der Trend nicht aufhalten oder umkehren lassen. Dazu werden erhebliche Investitionen nötig sein, auf der privaten Seite der Tourismusbetriebe und auf der öffentlichen Seite der Gebietskörperschaften. Das sollte von vornherein klar sein. Die eigentliche Frage lautet viel eher: Wie lassen sich verstärkte private Investitionen bei augenscheinlich sinkender Nachfrage gewinnen? Und ebenso, wie neue öffentliche Investitionen zu rechtfertigen wären. Wie so oft, beißt sich die Katze in den Schwanz – und steht deshalb still. Notwendigkeit eines neuen Leitbilds – aus den alten Stärken Bewegung kann nur ein schlüssiges Leitbild für einen touristischen Aufbruch im Kreis Calw bringen, das einen Zukunftspfad aufzeigt, den private Investoren und die Organe der Gebietskörperschaften als gangbar erkennen. Das Leitbild darf nicht nur eine mehr oder minder einleuchtende Ideensammlung sein. Es muss einem offensiveren Handeln der Akteure, und der nötigen Risikobereitschaft, Sinn geben. So dass es für jeden interessant wird, auf seinem Feld im Sinn des Leitbilds zu handeln. Ein Commitment für private Investitionen wird dabei nicht erreichbar sein ohne ein gleichzeitiges Commitment für öffentliche Investitionen, vor allem in die touristische Infrastruktur (siehe unten), und umgekehrt. Grundlage des Leitbilds müssen die vorhandenen Stärken unseres Raums sein. Was können wir mit ihnen bieten, und was fordert der Markt? Prüfen wir also, 1. ob in den alten Stärken neue Potenziale für einen künftigen Regionaltourismus stecken, der unserem Raum, unserer Lage (am Rand einer europäischen Metropolregion!) adäquat und mit unserer Landschaft verträglich ist; sodann 2. die spannende Frage, wie ein solches Leitbild den Rückenwind größerer Trends des überregionalen Tourismusmarkts nutzen kann. Die Anschlussfähigkeit an solche Trends macht ein Leitbild realistisch und erfolgreich. Das eröffnet die Investitionschancen, die unsere Potenziale aktivieren. Der Tourismusmarkt ist ein Wachstumsmarkt. Das ist eine bessere Voraussetzung als ein stagnierender Markt, auf dem Marktanteile nur anderen Wettbewerbern abgejagt werden können. Ein anderer Vorteil ist, dass die Umsätze vor allem durch Dienstleistungen erzielt werden, so dass Wachstum in besonderem Maß zu inländischen Arbeitsplätzen führt. Also: Gute Voraussetzungen und Anreize, etwas zu tun. Was sind unsere Stärken, und was kann man touristisch mit ihnen anfangen? · Unsere schöne Landschaft, mit ihren zwei Seiten: Als natürliche Landschaft und als kultur-historische Landschaft. · Sie lädt ein zu Bewegung, Aktivität und individuell gestalteten Ferien. · Sie bietet Raum für Familienangebote. · Gäste können die Landschaft genießen, und sie können bei uns gut einkehren und Essen & Trinken genießen. · Unsere gute Lage in Baden-Württemberg, Deutschland und Europa. Der Besitz gewachsener Stärken reicht jedoch nicht aus. Sonst wäre es nicht zu der beschriebenen Abwärtsentwicklung gekommen. Vielmehr gilt es, die Stärken so zu stärken und auszurichten, dass sie für Gäste sichtbar und erlebbar werden. Das Leitbild, das wir suchen, muss uns sagen, wie wir unsere Stärken zentral in den Fokus des Gastes und seiner (Urlaubs-/Freizeit-)Bedürfnisse bringen können. Dazu werden wir die überkommenen Stärken verbessern und modernisieren müssen. Zudem müssen wir neue Stärken und Qualitäten schaffen, an denen es uns bisher mangelt (z.B. Service-Qualitäten, Informations-Qualitäten, Differenzierung der Angebote, Attraktionen für Kinder und Jugendliche u.a.). Wir gleichen einem Sportler, der gute Naturanlagen für seine Disziplin mitbringt. Doch um Hochleistung zu erbringen, muss er viel trainieren und Technik lernen, also zusätzliche Arbeit an sich selbst leisten. Das Leitbild: Sanfter Tourismus. Wandern – Radfahren – Genießen Dieses Leitbild könnte eine neue Epoche touristischer Anziehungskraft unseres Raums einläuten. Es gründet auf unseren Stärken, und es zeigt auf, wo wir sie stärken müssen. Zugleich stimmt es mit einem starken Trend im Markt überein, der, wenn nicht alle Zeichen trügen, auf lange Zeit stabil sein dürfte. Sanfter Tourismus, Outdoor-Aktivitäten, speziell das Wandern und Radfahren in anregender Landschaft, spricht in wachsendem Maß die Bedürfnisse der Kunden an. Gleichermaßen gilt dies fürs Genießen. Man könnte diese Kunden die reflektierten Hedonisten nennen, für die die Natur und ihre Erhaltung, die Kulturlandschaft und ihre Aneignung, und die persönliche Freude an beidem eine Einheit bilden, die sie in ihrer aktiven Freizeit genießen. Zu diesem Kreis gehören junge (wenn auch nicht ganz junge) Menschen, Paare, junge Familien, aktive Leute mittleren Alters und Ältere. Sie sind in der Regel gebildet und finanziell gut gestellt. Sie wollen ihre Freizeit aktiv gestalten und Angebote individuell auswählen: Die Wanderwege nach Vorliebe und Kondition, die besuchten Orte, die Restaurants und Unterkünfte, die Länge der Wege und Zwischenaufenthalte. Und sie möchten umdisponieren können, wenn sich neue Gesichtspunkte ergeben. Was sie brauchen, ist vor allem: Differenzierte Angebote und eine gute, verlässliche Infrastruktur. Sie sind anspruchsvoll und qualitätsempfindlich. Wandern (auch Radfahren) in schöner Landschaft lässt sich fast beliebig dosieren von gemächlich bis sportlich, je nach Alter, Typ und Ehrgeiz. Es ist selbstbestimmt und flexibel: Man kann zu zweit, mit der Familie, in Gruppen oder auch allein wandern, auf eintägigen oder mehrtägigen Touren. Es ist kommunikativ und gesellig – beim Wandern selbst, bei Begegnungen mit anderen Wanderern, beim Einkehren (Wanderer kommen schnell ins Gespräch). Es bietet sowohl Abwechslung als auch Kontinuität: Man sieht immer etwas Neues, doch wird man mit Landschaften vertraut und bewegt sich routiniert. Man kann immer wieder die gleiche Gegend besuchen und doch immer neue Wege gehen. Anregungen und Herausforderungen sind körperlich und geistig: Man tut etwas für seinen Körper, ist am Abend mäßig erschöpft, spürt die eigene Leistung, lernt Dörfer und Kleinstädte kennen, historische Orte, Kirchen, Burgen, Mühlen, Seen, Bäche, Wälder, Berge. Man genießt: Natur und Kultur unterwegs; und beim Einkehren unterwegs und am Abend nach vollendeter Etappe die guten Produkte der heimischen Gastronomie. Gutes Essen und Trinken schmecken bei Wanderungen und danach besonders gut (und machen kein schlechtes Gewissen). Sanfter Outdoor-Tourismus entspricht nicht nur den (potenziellen) Stärken unserer Landschaft. Im Erfolgsfall einer guten Entwicklung kann er sogar bestimmte Schwächen mildern, die sich in den letzten Jahren unübersehbar zeigen: Dorfgasthäuser, deren Bestand gefährdet ist, können Wanderer und Radfahrer als neue Kunden gewinnen. Für manches Gebäude kann eine Sanierung oder eine Erweiterung in Betracht kommen, um Gästezimmer einzurichten. Vom Leitbild zur Strategie Das Leitbild orientiert über neue Anforderungen, denen sich unsere gewachsenen Stärken stellen müssen. Dabei gilt der Grundsatz: Dem Gast muss alles in besonderer Qualität – als Premiumleistung – geboten werden. Premium heißt hier nicht Luxus, den nur wenige bezahlen können, sondern höchstmögliche Übereinstimmung mit den Bedürfnissen des Gastes (z.B. Lage, Erscheinungsbild und Service einer Vesperhütte, Informationsgehalt einer Infotafel im Naturschutzgebiet, Qualität der Wegemarkierung, öffentliches Verkehrsmittel, wenn die Wanderung abgebrochen werden muss). Dieser Premium-Grundsatz gilt, so scheint mir, gerade beim sanften Tourismus. Wanderwege und -gegenden sind rezensionsfähig, Wanderer kennen solche Rezensionen seit je aus Wanderführern, das Internet steigert ihre Bedeutung. Das Leitbild zeigt ferner auf, wer bestimmte Leistungen erbringen muss. So müssen manche Leistungen von öffentlicher Seite erbracht werden, weil diese dafür zuständig ist, z.B. Wegenetz und seine Erhaltung, Werbung für den Raum, Tourist-Infocenters, öffentlicher Nahverkehr. Anderes müssen die privaten Anbieter leisten (neue Produkte, vorzüglichen Service, Schulung des Personals, Werbung für das Haus). Beide Seiten müssen besser werden. Dafür braucht es keine neuen runden Tische. Einzelnes bedarf wohl der Koordinierung, anderes der öffentlichen Unterstützung (Genehmigungen) oder Förderung (evtl. Bau von Vesperhütten). Aus dem Leitbild muss, soll der sanfte Tourismus strategisch entwickelt werden, ein konkretes Pflichtenheft für alle beteiligten Akteure erstellt werden. Dafür seien hier einige erste Vorschläge gemacht, ohne Anspruch auf Vollständigkeit:
  • Wanderwege hoher Qualität auf vorhandenen Naturwegen ausweisen. Anspruchsvolle Wanderer schätzen breite, befestigte oder Kieswege nicht, sondern Naturwege. Regionen, die viele Naturwege anbieten, haben Wettbewerbsvorteile. Im Kreis Calw gibt es viele Naturwege, jedoch unverbunden.
  • ·Mehr Ausblicke und Wegstrecken in offener Landschaft. Unsere Landschaft ist durch den Wald oftmals mehr verdunkelt als nötig und als es Wanderer lieben, besonders die Täler und Talhänge. Im Lierbachtal (Ortenaukreis) wurden unlängst die (früher freien) Talhänge frei geschnitten.
  • Infrastruktur:
- Netz von Wanderhütten mit Vespermöglichkeit (ohne Übernachtung) - Übernachtungsplätze in den Dörfern, auch in privaten Häusern und Bauernhöfen (ähnlich B&B in England). In jedem Dorf sollte es mindestens ein Angebot geben. (Das ist keine ruinöse Konkurrenz etablierter Häuser, sondern erzeugt die neue Nachfrage, von der alle profitieren.) - Massiver Ausbau der Radwege (alle Landes- und viele Kreisstraßen) - Für Besucher geöffnete Kirchen - Genügend Wanderparkplätze - Buslinien mit festem Takt - Jugendzeltplätze mit Mindestausstattung - Wohnwagenstellplätze
  • Information:
- Online-Infos zu allen Wanderwegen, Unterkunftsverzeichnisse, Eventkalender, Verkauf regionaler Produkte, Restaurants, ÖPNV-Fahrpläne - Infotafeln bei: Dörfern, Bauernhöfen, über Siedlungsformen, Geologie, Fauna & Flora, Baumarten und Forstwirtschaft u.v.a. - Tourist-Info in jeder Gemeinde - Evtl. touristische Monatszeitschrift Nordschwarzwald, die in Tourist-Infos, Hotels, Reisebüros, Kiosken u.a. ausliegt.
  • Neue Familienangebote mit Outdoor-Aktivitäten, wie z.B.
- Ferien mit Tieren (Kamelhof, Reiterhöfe, geplantes Tal der Tiere Bad Rippoldsau) - Integration von Vereinsangeboten (Pfadfinder, Alpenverein, Hochseilgarten Nagold, Tanzclubs u.a.) - Angebote der Radsport-Akademie Wart als Teil von Ferienprogrammen - Outdoor-Sportevents, bei denen jeder mitmachen kann und Gäste willkommen sind (vgl. Mobil ohne Auto im oberen Nagoldtal). <
  • strong>Verlässliche Qualitätssicherung:
- Gütesiegel für Privatquartiere; für Betriebe, die regionale Produkte anbieten, u.ä. - Prädikatisierung von Wanderwegen. - Das Zertifikat www.wanderbares-deutschland.de ist inzwischen an über 100 hochwertige Wanderstrecken verliehen (leider keine im Kreis Calw, im Nordschwarzwald nur der Westweg und ein Weg in Baiersbronn). Das Leitbild Sanfter Tourismus. Wandern – Radfahren – Genießen ist (nur) eine Leitstrategie, mit der der Nordschwarzwald-Tourismus neu belebt werden kann. Es verdrängt keine anderen touristischen Angebote, sondern dient ihnen als Schrittmacher. Wer im Kreis Calw Outdoor-Ferien gemacht hat, wird ihn auch gern zur Kur aufsuchen oder für Konferenzen. Nur ein Leitbild, das zu Commitment und konkreter Verantwortlichkeit führt, auf dessen Verbindlichkeit man also vertrauen kann, bahnt den Weg für Investitionen.