Mobilität für die Region schaffen mit der Stadtbahn

Veröffentlicht am 19.11.2023 in Aktuelles

Wie wollen wir in Zukunft leben? Wie wollen wir unsere Mobilität gestalten? Und wie kann eine zukunftsfähige Verkehrsanbindung mit öffentlichen Verkehrsmitteln an den Großraum Stuttgart und die Region insgesamt gelingen?

Zwei Konzepte hierzu werden derzeit intensiv diskutiert: der MEX (Metropolexpress) und das Stadtbahnkonzept, das von Alt-Oberbürgermeister Dr. Rainer Prewo und Alt-Stadtrat Dr. Ulrich Mansfeld initiiert wurde. Diese beiden versierten Kommunalpolitiker waren neben Andreas Knörle, Leiter des Dezernats für Infrastruktur des Kreises Calw, als Referenten zu Gast bei der Veranstaltung „Ist eine Bahnanbindung von Nagold nach Herrenberg möglich?“ 

Hierzu eingeladen hatte die SPD Nagold. Dieser Einladung ins Naturfreundehaus waren zahlreiche Menschen gefolgt. Und so begann Rainer Prewo sein Impulsreferat mit den Worten: „Es ist nicht nur ein voller Saal - es ist auch ein abendfüllendes Thema“. Im Mittelpunkt stand die Machbarkeitsstudie, die der Kreis Calw in Auftrag gegeben und die die unterschiedlichen Varianten einer Bahnanbindung Nagolds an Herrenberg untersucht hatte. Prewo erläuterte, dass diese Anbindung in der Vergangenheit daran gescheitert war, dass der Bau eines Tunnels zur Überwindung der Steigung hinauf ins Gäu früher finanziell nicht stemmbar gewesen ist. „Aber nun sehen wir uns einer Zeitenwende gegenüber: mit dem GVFG, dem  Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz des Bundes, sind Vorraussetzungen geschaffen worden, mit denen eine Anbindung zum ersten Mal realistisch an die Schwelle der Umsetzung gerückt ist.“ erläuterte Prewo.

Mit dem Stadtbahnkonzept könnte diese Anbindung nun tatsächlich realisiert werden. Aufgrund neuer Techniken ist die Stadtbahn in der Lage, Steigungen von 8-9 % zu bewältigen, so dass die Tunnelproblematik hinfällig wird. Durch die jährliche Aufstockung um 1 Milliarde Euro durch den Bund und der damit verbundenen Verzehnfachung der Fördermittel wird das Konzept für die Landkreise, die dafür eigentlich zuständig sind, tatsächlich realistisch finanzierbar und ein Einstieg in Schienenverbindungen endlich möglich. Dadurch besteht die Möglichkeit der Verknüpfung mit der gesamten Region — nicht nur nach Stuttgart, sondern auch nach Tübingen, Reutlingen, also vom Schwarzwald an die Schwäbisch Alb. 

Weitere Etappen in Folge der Machbarkeitsstudie ist nun eine Kostenuntersuchung. Die dabei allgemein gültigen Regeln sind klar dargestellt und die finanzielle Bewertung wird etwa ein halbes Jahr dauern. 

Der erfahrene FPD-Kommunalpolitiker und langjährige Nagolder Stadtrat Dr. Ulrich Mansfeld hob die ökologische Dimension des Projektes hervor: „Wir haben eine Sogwirkung eine hohe Pendlerquote in Richtung Böblingen / Sindelfingen und Stuttgart. Doch trotz verbesserten Busverkehrs ist die Autonutzung noch immer sehr hoch“ sagte Dr. Ulrich Mansfeld, um hinzuzufügen: „aufgrund der drohenden Klimakatastrophe, der hohen CO₂-Belastung infolge des Individualverkehrs und unserer Verantwortung gegenüber nachfolgenden Generationen besteht allerdings dringender Handlungsbedarf.“ Mansfeld forderte die notwendige Umsetzung von klugem ÖPNV. Denkbar günstig ist dabei das Konzept der Regionalstadtbahn: durch den engeren Radius, den diese Bahn fahren kann, und ihre Kleinteiligkeit kann sie auch in Ortschaften hineinfahren und dadurch sehr wohnortnahe Verbindungsmöglichkeiten schaffen. Mansfeld stellte in diesem Zusammenhang auch die vier existierenden Stadtbahnvarianten vor und erläuterte die Aspekte, die für und gegen die jeweilige Variante sprechen. Klarere Favorit dabei ist die UV1, die eine direkte Verbindung von Herrenberg nach Nagold über Jettingen schafft. 

„Der Begriff „Mobilitätsprojekt“ ist zu kurz gesprungen“ wandte der Dezernent für Infrastruktur des Landkreises Calw, Andreas Knörle ein: „Es handelt sich dabei vielmehr um Regionalentwicklung pur — ein richtiger Booster für unsere gesamte Region also.“ Der ländliche Raum ist als Wohnraum sehr viel interessanter geworden und entsprechend müssen die Angebote angepasst werden. „Der Kreis Calw ist der Kreis im Land mit der höchsten Auspendlerquote und auch das spricht dafür, nach schienengebundenen Lösungen zu suchen“ so Knörle und stellte klar: „Neue Rahmenbedingungen schaffen neue Fakten — und bieten dadurch neue Chancen: Die extrem hohe Förderung ermöglicht es, dieses Vorhaben umzusetzen.“ 10% der Finanzierung entfallen dadurch jeweils nur noch auf die Kreise Calw und Böblingen. „Wir haben die historische Chance, dieses Projekt anzupacken, und wir bauen für die nächsten 50 — 100 Jahre“ hob Knörle hervor und erinnerte daran, dass die Machbarkeitstudie dank eines Antrags der SPD Fraktion im Kreistag überhaupt erst in Auftrag gegeben worden war. „In sechs Monaten liegen die Ergebnisse vor und die am sinnvollsten herauskommende Lösung sollte zügig angepackt und umgesetzt werden“ fügte Andreas Knörle hinzu. 

Daniel Steinrode, SPD Fraktionsvorsitzender im Nagolder Gemeinderat und Moderator des Abends, warf ein, dass die Raumwirkung extrem wichtig sei. „Ohne Haltepunkte in Gündringen und Schietingen erzielen wir null Erschließungswirkung für die Raumschaft, von der auch Haiterbach profitieren würde.“ Wichtig sei, so Steinrode,  dass jetzt die Kulturbahnn auf die Bahnanbindungen von Hochdorf nach Stuttgart abgestimmt werden müsste und die Haltepunkte Ggündringen/Schietingen sowie Emmingen endlich eingerichtet werden müssten. Dies sei möglisch, da die Kulturbahn inzwischen deutliche schneller sei und dies vom Takt her möglich sei.

Das Thema ist auch dem Land Baden-Württemberg ein wichtiges Anliegen — und so war eigens ein Vertreter des Landes zu der Veranstaltung nach Nagold gekommen, um die Position des Verkehrsministeriums darzustellen. Jonas Steiner, Referent für Eisenbahninfrastruktur, betonte, dass die Anbindung Nagolds nach Stuttgart dem Land sehr wichtig sei. „Wir sind offen, an neue Technologien heranzugehen wie etwa die Magnetschwebebahn nach dem System Bögl.“ Es sei wichtig, so Steiner, möglichst viele Fahrgäste mitzunehmen und die optimalste Variante umzusetzen. 

„Die Verlängerung nach Altensteig muss ebenfalls auf Förderwürdigkeit hin untersucht werden“ unterstrich Rainer Prewo, um so die Verbindung von Nagold nach Altensteig weiterzuführen und Altensteig ebenfalls in die schienenangebundene Raumschaft einzubinden. „Diese Variante“, ergänzte Andreas Knörle, „hätte der MEX nicht mit abgedeckt.“

„Die Stadtbahn ist langfristig die bessere Lösung“ argumentierte der Ebhausener Bürgermeister Volker Schuler.

Auf die Argumentation des Kreistagsmitglieds Dr. Bruno Schmid aus Hochdorf, dass die schnelle Verbindung nach Stuttgart nur durch den MEX gewährleistet werden könne, entgegnete Dr. Ursula Utters, SPD-Fraktionsvorsitzende im Kreistag, dass die Aussage, die Menschen wollten so schnell wie möglich nach Stuttgart, nicht ganz korrekt sei, denn viele pendelten auch an andere Arbeitsplätze auf dem Weg nach Stuttgart. „Der MEX hat in der Studie versagt“ sagte Utters, „und er würde 100 Millionen Euro kosten ohne dass sich viel tun wird.“ Der Hochdorfer Ortschaftsrat Hans Meier wies daraufhin, dass nur jeder zweite MEX direkt ohne Umsteigen nach Stuttgart fahre und dies unattraktiv für Pendler sei: „Die große Mehrheit an Fahrgästen will schnellstmöglich zum Arbeitsplatz kommen und nicht noch umsteigen müssen.“

Udo Vollmer aus Pfrondorf betonte ebenfalls, dass die reine Fokussierung auf Stuttgart falsch sei. „Der Zug muss von Emmingen nach Herrenberg kommen, um für Bewohner aus den Nordstadtteilen attraktiv zu sein. Und der MEX hat diese Erschließungswirkung nicht.“ Der Gündringer Klaus Rais verwies indes auf die Schweiz: „Dort ist trotz widrigster Baumumstände jede Milchkanne angeschlossen — und dies sollte doch auch bei uns möglich sein!“ Derzeit sei der Öffentliche Personennahverkehr noch in keiner Weise ausreichend ausgebaut und deshalb nicht attraktiv für den Umstieg vom Auto auf den ÖPNV, betonte die SPD Kreisvorsitzende Daniela Steinrode: „Das muss sich endlich ändern — gerne würde ich aufs Auto verzichten, aber das ist in unserer Region derzeit schlecht möglich. Wir sollten Ergebnisse unterstützen, die auf wissenschaftlichen, faktenbasierten Studien fußen.“

Der Haiterbacher Karl Braun von der Initiative Infrastruktur Nordschwarzwald (IIN) wies auf weitere Veranstaltungen hin, die dieses Thema weiter forcieren.

Martin Hampp aus Schietingen hatte Bedenken hinsichtlich der langen Baudauer „wir können keine Jahrzehnte mehr auf eine Lösung warten.“ Das unterstützten Rainer Prewo und Andreas Knörle einhellig: solche Infrastrukturprojekte müssten schneller umgesetzt werden.

 

Text und Bild: Daniela Steinrode

 

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