Dr. Erhard Eppler „Bedeutet weniger Staat mehr Freiheit?“

Veröffentlicht am 22.01.2008 in Veranstaltungen

Auf Einladung des SPD-Kreisverbandes Calw und des Liebenzeller Diskussionsforums kam Dr. Erhard Eppler vergangenen Samstag ins Andreähaus nach Calw, um zum Thema: „Bedeutet weniger Staat mehr Freiheit?“ zu sprechen.

Die schon ab 9:30 Uhr – viele vermuteten zu Recht, dass es sehr voll würde - eintreffenden Zuhörer wurden mit einem Begrüßungskaffee empfangen. Man hatte zunächst Gelegenheit Freunde und Bekannte zu begrüßen und gute Neujahrswünsche auszutauschen.

Pünktlich um 10:30 Uhr eröffnete Kreisvorsitzender Richard Dipper in einem, in der Tat bis zum letzten Stuhl, vollbesetzten Saal die Veranstaltung mit der Begrüßung der Gäste. Er dankte Dr. Erhard Eppler für sein Kommen und freute sich auch, dass Dr. Rainer Prewo, Oberbürgermeister von Nagold und SPD-Landtagsabgeordneter gekommen war, um ein Grußwort zu sprechen.

In seiner Begrüßung würdigte Richard Dipper Erhard Epplers Beitrag zum neuen SPD-Grundsatzprogramm. Das „Hamburger Programm“, das vergangenes Jahr nach ausführlicher Diskussion in der Partei geschrieben und verabschiedet worden war, sei durch Epplers kritischer Begleitung zu einer „runden Sache“ geworden.

Dipper

So habe unter anderem die öffentliche Daseinsvorsorge dank Eppler den ihr gebührenden Stellenwert im Programm bekommen. Auch die Calwer SPD habe sich intensiv an der Neufassung des Programms beteiligt. Die Zukunft des Calwer Krankenhauses, privatisierte Müllentsorgung und Sponsoring und die Wasserversorgung, waren bzw. seien ganz aktuelle Probleme vor Ort, die unmittelbar mit öffentlicher Daseinsvorsorge versus Privatisierung zu tun hätten.

Damit sei zum einen die Frage verknüpft, wie eine optimale Versorgung der Bevölkerung am Besten zu gewährleisten sei. Eine entscheidende Frage sei aber auch die, in wie weit die kommunale Demokratie beeinträchtigt werde, wenn Entscheidungen nicht mehr in demokratisch legitimierten Gremien z.B. dem Gemeinderat getroffen würden, sondern durch Aufsichtsräten unter der Maxime der Gewinnmaximierung.

Prewo

In seinem Grußwort freute sich auch Dr. Rainer Prewo über das große Interesse der zahlreichen Zuhörer, das sicher zum einen der Person Erhard Epplers, seiner Prominenz und seinem Renommee zu danken sei, aber natürlich auch dem Thema, welches sich mit einer entscheidenden Problematik der Gegenwart befasse.

Der Staat sei gegenwärtig das Subjekt aller Negativzuschreibungen. So werde der Staat sehr abschätzig beurteilt, ja es werde bezweifelt, ob der Staat viele seiner Aufgaben überhaupt optimal erfüllen könne. Und es wird behauptet, ein freier Markt könne dies viel besser. Privatisierung von Vielem, was bisher in die Zuständigkeit des Staates fiel war die Forderung. Innere Sicherheit, Bildung und Schulen, Infrastruktur und Umwelt, kaum ein Bereich, der nicht viele Möglichkeiten dafür bot: Privatisierung der Gefängnisse, der Bewährungsbetreuung, der Bahn, der Müllentsorgung, der Wasserversorgung, von Krankenhäusern usw.

Doch mache sich in der Gesellschaft Unbehagen darüber breit, ein Umdenken habe begonnen. Die Rolle des Staates müsse neu definiert werden und die dazu notwendige Diskussion müsse die SPD – und könne nur die SPD - führen.
Dazu steuere der angekündigte Vortrag wichtige Argumente bei.

Engagiert und leidenschaftlich, anschaulich und pointiert – Rainer Prewo bemerkte anschließend: „er redet wie ein junger Kerl und wie ein antiker Denker“ - präsentierte Erhard Eppler in seinem Vortrag seine Thesen zu der Frage, „ Bedeutet weniger Staat mehr Freiheit?“.

Eppler

Diese Frage würde wohl in Umfragen von einer Mehrheit mit ja beantwortet werden, so Erhard Eppler, denn die Erfahrung mit Diktaturen - Drittes Reich, DDR – zeige im Umkehrschluss: je mehr Staat, umso weniger Freiheit! Dass das Gegenteil von falsch immer richtig sei, gelte aber nur in der Mathematik, nicht im richtigen Leben. Denn die Schlussfolgerung, dass gar kein Staat dann also die größtmögliche, optimale Freiheit bedeute, erweise sich auch als falsch. Eher führe dies zu Anarchie, Willkür der Starken und Chaos.

Aber den Staat abzuschaffen sei ja auch gar nicht das Ziel der Neoliberalen. Es gehe vielmehr darum, diesen in seiner Bedeutung und Funktion zu schwächen, bzw. ihn den Gesetzen des Marktes zu unterwerfen. Der markradikale Ansatz (Ideologie) gehe davon aus, dass der Markt immer klüger sei als die Politik.

Die Implosion der DDR schien diese These zu beweisen und die aus den USA herüber schwappende marktradikale Welle fand großen Zuspruch. Auch der demokratische bundesrepublikanische Staat wurde mehr und mehr diskeditiert: er sei nichts als ein Taschendieb, der den Leuten in die Taschen greife und sich bereichere und durch zu viele Regeln bürgerliche Freiheit beschneide.

Publikum

Auch die unternehmerische Freiheit, d.h. marktgerecht zu disponieren, werde eingeschränkt, z.B. durch den Kündigungsschutz. Da der Markt also klüger als die Politik sei, müsse sich der Staat aus Bereichen, die bisher in seine Zuständigkeit fielen, weitestgehend herausziehen und sie der Privatwirtschaft und dem feien Markt überantworten.

Damit sei der Staat nicht mehr für Menschen, folgerte Eppler, sondern für Märkte zuständig wo alles zur Ware werde: Bildung, innere Sicherheit, Absicherung bei Krankheit und Alter, Arbeitskraft. Den Preis bestimme Angebot und Nachfrage – auch staatliche Mindestlöhne seien deshalb nicht marktgerecht. Menschen seien nur noch Kunden, als Kunde zwar König - aber nur mit Geld. Sie seien auch Verkäufer, die ihre Waren, z.B. Ihre Arbeitskraft frei verkaufen könnten. Wenn der Lohn der Arbeit zum Leben nicht reicht, dann ja dann darf der Staat einspringen.

Politik und demokratische Abstimmungen würden nicht wie in einer Diktatur verboten, aber zunehmen gegenstandslos, da entscheidende Beschlüsse zunehmend von Managern und Aufsichtsräten getroffen würden. Bürger und Bürgerinnen würden entmündigt.

Eppler

So sei z.B. die Pressefreiheit nicht durch staatliche Zensur bedroht, sondern durch das Diktat des Marktes, d.h. durch Besitzverhältnisse und Renditesteigerung. Die Sicherheit der Bürger werde gefährdet, wenn sich der Staat seines Gewaltmonopols begebe und nur Reiche sich private Sicherheitsdienste leisten könnten. Absurd auch Gefängnisse, die nicht mehr nach Recht und Gesetz belegt werden, sondern unter dem Gesichtspunkt der Rendite: nur bei voller Auslastung maximaler Gewinn. Tatsächlich sei in den USA, so Eppler, seit der Privatisierung von Gefängnissen die Verweildauer von Gefangenen deutlich gestiegen, zudem seien die Belegzahlen etwa sechs- bis siebenmal so hoch wie in Europa.

Gute Schulbildung und Studium nur noch für die, die über entsprechende Mittel verfügen? Menschenwürde nur noch für die, die mehr als Hungerlöhne verdienen? Der demokratische Staat sei aber auf die Grundrechte verpflichtet und die Politik habe deshalb die letzte Verantwortung für die Menschenwürde. Eine Rückbesinnung auf die Funktion und Aufgaben des Staates sei unerlässlich, aber ein Umdenken hätte bereits begonnen. Die neoliberale und neokonservative Marktideologie werde zunehmend in Frage gestellt.
Das Verhältnis von Markt und Staat müsse wieder in Ordnung gebracht, eine Balance wieder hergestellt werden, so Eppler.

Hezel, Eppler, Dipper

Dabei dürfe man die durch die Globalisierung geschaffenen Fakten in der anstehenden Diskussion keinesfalls außer Acht lassen. Die Globalisierung, d. h. die Entwicklung eines Weltmarktes in dem Konzerne ohne Handelbeschränkungen weltweit agierenden, habe maßgeblich dazu beigetragen die Nationalstaaten erpressbar zu machen. Dies auszubalancieren könnten daher auch nur durch große Staatenverbünde wie die europäische Union erreicht werden. Deshalb müsse die europäische Einigung energisch vorangebracht werden.

Er rufe die SPD dazu auf, dies offensiv anzugehen. Die Sozialdemokratie sei die einzige Kraft, die dies könne, da rechts von der SPD die Westerwelles immer noch auf der markradikalen Welle ritten und die Linkspartei rückwärts gewandt und in der globalisierten Welt noch nicht angekommen sei.

In der anschließenden engagierten Diskussion zeigte sich ein Zuhörer besonders zufrieden darüber, dass Eppler eine Vision für die politische Arbeit der SPD aufgezeigt habe.

 

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