Der politische Kommentar: Gute Arbeit für ein gutes Ein- und Auskommen

Veröffentlicht am 15.09.2008 in Bundespolitik
Esther Peylo

Von Esther Peylo

Es gibt Menschen in unserem Land, die eine Familie zu versorgen haben, die 40 Stunden und mehr in der Woche dafür arbeiten, nur beim Discounter einkaufen, nie in den Urlaub fahren und dennoch mit ihrem verdienten Geld nicht über die Runden kommen. Viele Eltern, die eigentlich „in Lohn und Brot“ sind, bekommen Schweißausbrüche, wenn ein Schullandheimaufenthalt ansteht, die Waschmaschine oder gar das Auto merkwürdige Geräusche von sich geben. Von einem Kino- oder Restaurantbesuch können sie nur träumen. Das darf eigentlich nicht sein. Denn wer arbeitet, soll auch die Möglichkeit haben, am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben und die Früchte der Arbeit zu genießen.

Schlecht bezahlter und ungesicherter Arbeit hat die SPD schon lange den Kampf angesagt, hat bei ihren Arbeitsmarktreformen allerdings den Betrieben zunächst freie Hand gelassen, um schnell und wirksam gegen die hohe Arbeitslosigkeit anzugehen. Nicht wenige Betriebe haben leider das in sie gesetzte Vertrauen enttäuscht und für die geleistete Arbeit - oft mit dem Hinweis auf den globalen Wettbewerb - nur Dumpinglöhne übrig.

Damit ging zwar die Arbeitslosenquote zurück, die Armutslöhne nahmen allerdings zu. Der Anteil der Beschäftigten im Niedriglohnbereich lag 2005 bei 36,4%, wobei es zwischen Männern und Frauen erhebliche Unterschiede gibt: Jede dritte Frau in Vollzeit arbeitet inzwischen unterhalb der Niedriglohnschwelle, bei den Männern ist es jeder zehnte. Rund 84% aller Teilzeitbeschäftigten sind Frauen, die neben der Kinderbetreuung das Familienbudget mit aufbessern wollen. Dennoch ist das durchschnittliche Haushaltsnettoeinkommen in den vergangenen Jahren stetig gesunken – und damit auch die Kaufkraft: Von 19.255 Euro im Jahr 2002 auf 18.778 Euro im Jahr 2005.

Gleichzeitig ging die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinander: den Armutslöhnen standen gigantische Managergehälter gegenüber, die Mittelschicht schrumpft. Am tragischsten finde ich, dass Familien mit Kindern in unserem Land besonders gefährdet sind, zu verarmen. Für Kinder ist das Armutsrisiko von 15 % im Jahr 2003 auf 26 % im Jahr 2005 angestiegen.

Das Vermögen in Deutschland ist ungerecht verteilt. Während die wohlhabendsten 10 % der Haushalte über mittlerweile fast 60 % des gesamten Vermögens verfügen, haben rund zwei Drittel der Bevölkerung kein oder nur ein sehr geringes Vermögen. Das, was den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zum Leben fehlt, soll dann „Vater Staat“ ausgleichen. Dies verletzt die Gerechtigkeit und Fairness der sozialen Marktwirtschaft auf schwere Weise.

Deshalb müssen unsere Bemühungen um gerechte Einkommen und sozialversicherte Arbeitsplätze verstärkt werden, flankiert von einer gerechteren Besteuerung. Die unteren und mittleren Einkommen müssen entlastet, höchste Einkommen stärker belastet werden. Befristete Jobs ohne Sachgrund müssen wieder abgeschafft, die Höchststundenzahl im Rahmen eines Minijobs auf 15 Stunden begrenzt werden.

Der Ausbau von Umschulungs- und Qualifizierungsmaßnahmen ermöglicht besonders Frauen gegen Ende der Familienphase, im Arbeitsleben wieder Fuß zu fassen. Wer Vollzeit arbeitet, muss von seinem Lohn anständig leben können. Für Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmer müssen der gleiche Lohn und die gleichen Arbeitsbedingungen wie für die Kernbelegschaft gelten.

Und natürlich brauchen wir Mindestlöhne in Deutschland. Von einem flächendeckenden Mindestlohn würden heute Millionen Menschen profitieren. Er würde das Tarifgefüge stabilisieren, könnte das zukünftige Rentenniveau heben - durch die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns könnten die Renten um 1 Prozent steigen - und damit Altersarmut vorsorgend bekämpfen. Für leistungsgerechte Löhne muss der Staat mit gutem Beispiel vorangehen. Wir wollen, dass öffentliche Aufträge nur noch an Auftragnehmer gehen, die Tariflöhne bezahlen. Die Tariftreueregelungen müssen in ganz Europa gelten, damit auf dem europäischen Binnenmarkt die Wettbewerbsfreiheit funktioniert (leider sind hier die Verhandlungen durch das irische Veto in eine Warteschleife geraten).

Die normalen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Facharbeiter und Angestellte, aber auch gering verdienende Selbstständige sind es, deren Einkommenslage sich verbessern muss. Dazu ist ein gerechter Anteil am wirtschaftlichen Erfolg notwendig. Eine aktive Tarifpolitik muss die vorhandenen Spielräume ausschöpfen. Kurt Beck hat hier als Partei-vorsitzender wichtige Schritte eingeleitet, die die SPD auf dem Weg zur sozialen Gerechtigkeit entscheidend weiterbringen.

In einer Gesellschaft des längeren Lebens und angesichts des sich abzeichnenden Fachkräftemangels brauchen wir arbeitsmarkt- und sozialpolitische Regelungen, die flexible Übergänge in den Ruhestand ermöglichen: Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sollen ab 2010 ab dem 60. Lebensjahr eine Teilrente in Anspruch nehmen können. Lebensarbeitszeit-konten sind ein sinnvolles Instrument für einen gleitenden Übergang in den Ruhestand, wenn sie durch eine gesetzliche Verpflichtung zur Insolvenzsicherung geschützt sind.

Die Sicherheit in einer sich wandelnden Arbeitswelt muss für die Arbeit-nehmerinnen und Arbeitnehmer gewährleistet sein. Häufigere Wechsel des Arbeitsplatzes und selbstständige Erwerbsformen werden in Zukunft an der Tagesordnung sein und erfordern neue Absicherungen. Zudem erleben Frauen und Männer zunehmend einen Wechsel von Phasen der Beschäftigung und der Nichterwerbstätigkeit, zu der auch gewollte Auszeiten für Qualifizierung, Kinderbetreuung oder die Pflege älterer Familienangehöriger gehören.

Hier brauchen wir eine grundsätzliche Neuorientierung des Familienleistungs-ausgleichs – und damit eine andere Bewertung von Familienarbeit -, die vom Ehegattensplitting zu kinderbezogenen Leistungen führt. Damit Väter und Mütter Familie und Beruf miteinander vereinbaren können, müssen Bildungs- und Betreuungsmöglichkeiten auch schon für kleine Kinder angeboten werden. Deshalb werden im Hamburger Programm die gebührenfreie Ganztagesbetreuung für alle Kinder mit Rechtsanspruch ab dem zweiten Lebensjahr und der Ausbau von Ganztagesschulen gefordert.

So entlasten wir Familien, wirken herkunftsbedingten Benachteiligungen entgegen und beugen Kinderarmut vor. Auch neue Arbeitsplätze im öffentlichen Beschäftigungssektor werden so geschaffen, dem wir mit der Wiedereinführung der Vermögenssteuer eine ordentliche Finanzspritze verpassen könnten. Bereits ein Vermögenssteuersatz von 1% würde zu Mehreinnahmen von 16 Milliarden Euro führen (bei einem Freibetrag von 500.000 Euro). Diese Einnahmen stehen nach dem Grundgesetz den Ländern zu und könnten dann dazu genutzt werden, die Einrichtungen im vorschulischen und schulischen Bereich sehr anspruchsvoll zu gestalten und mit qualifiziertem Personal vom Sozialpädagogen bis zur Psychologin auszustatten. Sollten unsere Kinder uns das nicht wert sein?

Gute Bildung ist der Schlüssel zu Chancengerechtigkeit, Gute Arbeit der Schlüssel zu Leistungsgerechtigkeit. In der Summe ergibt dies soziale Gerechtigkeit. Die Rechnung ist also eigentlich ganz einfach!

Esther Peylo, 13.9.08

 

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